Weggesperrt – Hinter Schweizer Gefängnismauern

Die Schweiz hat einen progressiven Justizvollzug: Das zumindest ist der Eindruck, den viele Menschen hierzulande haben. Doch der Schein trügt. Regelmässig rügen internationale Gremien die Schweiz wegen der Bedingungen in hiesigen Haftanstalten. Höchste Zeit also, genauer hinter die Mauern zu blicken.

Spricht ein Gericht sein Urteil, kann das bedeuten, dass jemand hinter Gefängnismauern verschwindet, in Anstalten wie Bostadel, Pöschwies oder Bässlergut. Namen, die vielen bekannt vorkommen mögen, doch die Orte dahinter kennen nur diejenigen wirklich, die dort leben müssen oder mussten.

Wie geht es den Menschen in den Gefängnissen dieses Landes? Weder in der parlamentarischen noch in der ausserparlamentarischen Politik spielen Inhaftierte und ihre Rechte eine grosse Rolle. Mit dem Einsatz für Gefangene lassen sich kaum Sympathien oder Stimmen gewinnen.

Jennifer Steiner, Lorenz Naegeli und Reto Naegeli (WAV) sowie Anina Ritscher vom Reflekt-Rechercheteam haben sich auf die Suche nach Antworten gemacht. Entstanden ist «Weggesperrt – Hinter Schweizer Gefängnismauern», die neuste Ausgabe des wobei – Das Magazin der WOZ.

Medienberichte über den Alltag in Gefängnissen sind rar. Meist fokussieren Journalist:innen auf einzelne, besonders aufsehenerregende Fälle, weit seltener machen sie das Gefängnissystem an sich zum Thema. Das ist auch eine Frage der Ressourcen im Journalismus: Recherchen rund um den Alltag im Gefängnis sind aufwendig. Gefangene können weder unkompliziert am Telefon befragt werden, noch dürfen sie E-Mails schreiben oder das Internet frei nutzen. Oft erfährt man von ihren Geschichten nur via Anwält:innen, doch längst nicht alle Gefangenen haben eine rechtliche Vertretung. Und viele sprechen keine der Schweizer Landessprachen. Rund die Hälfte aller Gefangenen sind in Haft, weil sie eine Geldstrafe, Busse oder Rechnungen nicht bezahlen können.

Wir haben in den vergangenen Monaten mit diversen Inhaftierten Kontakt aufgenommen. Wenn wir sie zu einem Gespräch im Besucher:innenraum treffen wollten, brauchten wir die Erlaubnis der Gefängnisleitung oder der einweisenden Behörde. Die Konditionen waren sehr unterschiedlich. An manchen Orten hiess es: Ein Aufnahmegerät darf nicht mit rein, und die Besuchszeit ist strikt auf eine Stunde beschränkt; andere Orte waren etwas kulanter.

Jeder Kanton, sogar jedes Gefängnis hat eigene Regeln. Während Gefangene in der einen Anstalt ein eigenes Telefon in der Zelle haben, müssen sie in einer anderen jedes Telefongespräch schon Tage im Voraus beantragen. In einem Gefängnis arbeiten sie in gut ausgestatteten Handwerksbetrieben, in einem anderen müssen sie Fliessbandarbeit erledigen. Die eine Haftanstalt verfügt über einen eigenen Gesundheitstrakt, aus der anderen ist eine Ärztin oder ein Arzt nur per Videocall erreichbar.

Insbesondere für die psychische Gesundheit ist oft nicht genügend gesorgt. Die Suizidrate unter Gefangenen ist in der Schweiz dreimal so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Wer im Gefängnis eine Psychotherapie machen will, tut dies im Wissen, dass der Gesprächsinhalt an die Justizvollzugsbehörden weitergeleitet werden kann – selbst in Untersuchungsgefängnissen, wo für Gefangene die Unschuldsvermutung gilt. Alles wird überwacht, alles dokumentiert.

Ganz zum Schluss geht es in diesem Heft auch um die Frage, warum in den Schweizer Gefängnissen vor allem Arme und Männer ohne Schweizer Pass sitzen. Andere Themen können nur gestreift werden, obwohl sie es ebenso verdient hätten, genauer untersucht zu werden. Etwa Frauen, die im Gefängnis sitzen, einem Umfeld, das oft nicht auf ihre geschlechterspezifischen Bedürfnisse eingeht. Oder jene Menschen, denen die Freiheit auf unbeschränkte Zeit genommen wird, die in Massnahmenzentren oder in der Verwahrung sitzen.

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